Speyer (Pfalz / Rheinpfalz;
Rheinland-Pfalz), katholische Domkirche Sankt Maria und Sankt Stephan,
romanischer Dom, einer der berühmten deutschen (salischen) sogenannten Kaiserdome,
der ursprüngliche Bau ist entstanden ab etwa 1030 bis
1061 unter Kaiser Konrad II. und dessen Sohn, Kaiser Heinrich
III., Baubeginn wie üblich mit Krypta und Chor im Osten, mehrere Bauphasen mit
zwischenzeitlichen Planänderungen, Abbrucharbeiten und Neuerrichtungen, später mehrfach
zerstört und mit teils erheblichen Änderungen und Ergänzungen im jeweiligen Zeitgeist
immer wieder aufgebaut, in jüngster Vergangenheit vielfach restauriert und
rekonstruiert; der Dom in seiner heutigen Form als architektonisches
Gesamtwerk existiert erst seit 1961. Gesamtlänge
des Gebäudes jetzt ca. 134 m, Breite über das Querhaus ca. 55 m, Höhe
der Osttürme ohne Wetterfahne ca. 71 m; es handelt sich heute um das größte
noch erhaltene romanische Bauwerk der Welt, wobei besser von einem reromanisierten Bauwerk
gesprochen werden sollte; UNESCO-Weltkulturerbe seit 1981.
► Speyer / Speier: Die offizielle
Schreibweise des Namens lautet heute Speyer. Noch bis in die 1940er Jahre wurde häufig
auch in der bau- und kunstgeschichtlichen Literatur die alte Schreibweise Speier
verwendet, so z.B. 1937 bei Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler (siehe unten). Wer im
Internet nach älterer Fachliteratur sucht, sollte daher mit beiden Varianten arbeiten.
Der Dom von Speyer ist eine mächtige dreischiffige Gewölbebasilika
auf lateinischem Kreuz mit Vorhalle (Westwerk, Westbau) sowie Ost- und Westturmgruppe (siehe Zeichnung
Grundriss), um 1027 von Konrad II. gestiftet, 1041 Weihe der Krypta, 1046 Weihe des Hochaltars,
1061 Schlussweihe des noch unvollendeten ersten Doms (Speyer I); nach 1080 bis um 1106 Abbruch,
Neubau / Umgestaltung und Einwölbung von Chor, Querhaus und hoch gelegenen Teilen des Mittelschiffs unter
Heinrich IV.; weitere Umbauten und Erweiterungen im 12. und frühen 13.Jahrhundert, südöstlicher Sakristeianbau
1409-1411, nach Stadtbrand 1689 und Zerstörungen durch die Franzosen Wiederherstellung des Ostbaus, ab 1755
Abtragung der oberen Teile des Westbaus mit Türmen, 1772-1778 Wiederaufbau der 1689 zerstörten Langhausjoche
sowie neuer Westbau unter Einbeziehung der romanischen Vorhalle, Architekt / Baumeister: Franz Ignaz Michael
von Neumann (1733-1785, Sohn des Johann Balthasar Neumann); 1794 Verwüstung durch französische Revolutionstruppen,
1818-1822 Wiederherstellung und Neuweihe.
1846-1853 Veränderungen des Innenraums und Ausmalung im Stil der "Nazarener" auf neu
(erstmalig) aufgetragenem Putzgrund durch Johannes von Schraudolph und Joseph Schwarzmann;
1854-1858 neoromanischer Westbau mit Kuppel und Westtürmen, Architekt: Heinrich Hübsch (1795-1863);
1868 Abbruch des Chor-Dachwalms über der Apsis und Aufbau eines neoromanischen Chorgiebels
mit steigender Zwerggalerie (siehe Foto); 1900-1906 Umbau / Ausbau Kaisergruft. Keine Schäden im
Zweiten Weltkrieg. 1957-1972 umfassende Restaurierung verbunden mit Umbauten, Rückbauten und
"Reromanisierungen", innen wurde dabei unter anderem die Ausmalung samt Putz zu
großen Teilen entfernt, außen 1966 die eingerückten (gegenüber der Fassade zurückgesetzten)
Querhausgiebel aufgesetzt als Wiederherstellung eines angenommenen vorbarocken Zustandes anhand
weniger historischer Abbildungen sowie vergleichender Untersuchungen im rheinländisch-romanischen
Baubestand, der Chorgiebel von 1868 wurde nach den gleichen Grundsätzen umgebaut.
Insgesamt ist der romanische Bau nur in geringen Teilen im heutigen Bau erhalten, darunter
neben der berühmten Hallenkrypta unter Chor und Querhaus auch der untere Teil des Chorhauses
und besonders die italienisch-lombardisch geprägte Apsis mit Zwerggalerie sowie das Querhaus
(aber ohne Dachgiebel), der Tambour der Vierungskuppel (leider zum Aufnahmezeitpunkt
wegen Restaurierung eingehaust), die südliche Schiffswand sowie teilweise der Unterbau
des neoromanischen Westwerks. Die oberen drei Geschosse der Osttürme entstammen dem
12.Jahrhundert, die Dreiecksgiebel und die gemauerten steinernen Turmhelme darüber
wurden erst im frühen 13.Jahrhundert aufgesetzt; die gesamte Dachlandschaft ist im
Übrigen ein Werk des 19. und 20.Jahrhunderts. Zur Innenausstattung
gehören bedeutende Skulpturen des 13.-19.Jahrhunderts sowie ein Domschatz.
Der genordete Grundriss stammt aus: Georg Dehio / Gustav von Bezold: Kirchliche
Baukunst des Abendlandes. Verlag der Cotta'schen Buchhandlung,
Stuttgart 1887-1901, Tafel 48, er zeigt den romanischen Kernbau des Doms
ohne die späteren Anbauten. Das Bild ist gemeinfrei, zur Verfügung
gestellt durch Wikipedia unter dem Eintrag "Speyerer Dom", Dateibezeichnung:
Dehio_48_Speyer.jpg; das Bild wurde für die Wiedergabe hier auf der Website
"Fotografie und Architektur" verkleinert und minimal bearbeitet.
Das historische Foto vor 1910 (Blickrichtung aus Nordost) stammt aus:
Wilhelm Pinder: Deutsche Dome des Mittelalters. Die Blauen Bücher ...
(siehe unten), Speyer Seite 30. Die Wiedergabe der Abbildung hier auf der Website
"Fotografie und Architektur" erfolgt rein informell aus baufachlichem
Interesse. Das Bild wurde für die Wiedergabe gering bearbeitet
(beschnitten, verkleinert, geschärft). Die erste Auflage des Buches
erschien 1910, das Foto ist somit vor 1910 entstanden. Es zeigt nicht
den heutigen Zustand: Die 1966 aufgesetzten eingerückten Querhausgiebel sind
noch nicht vorhanden, zu sehen sind die bis dahin vorhandenen Dachwalme.
Auch der Chorgiebel über der Apsis zeigt noch den Vorzustand aus der
Zeit der neoromanischen Wiederherstellung von 1868 mit ansteigender Säulengalerie
(Zwerggalerie), heute befinden sich dort fünf rundbogige Wandnischen.
Das gesamte sichtbare Mauerwerk des Doms einschließlich Steinmetzarbeiten und
Bauplastik besteht aus mehr oder weniger eisenoxidhaltigem Sandstein, roter
(hämatithaltiger) und gelber (limonithaltiger) Pfälzer Sandstein aus der
gesteinskundlichen Formation des Buntsandstein, der gelbliche Sandstein wohl
zumindest teilweise aus der Haardt (Gebirgszug am Ostrand des Pfälzer Waldes;
siehe z.B. auch http://natursteinwerk.hanbuch.de). Die Apsis mit
Blendarkaden (rundbogige vorgeblendete Säulen-Arkaden), unter der Traufe der Apsis
eine Zwerggalerie (Laufgang hinter niedriger rundbogiger Säulenarkade mit
"zwergenhaften" Säulen; auch: Arkadengalerie / Säulengalerie /
Rundbogenarkade), das Motiv der Zwerggalerie findet sich umlaufend an fast allen Bauteilen
der Domkirche, auch am barocken Oberbau des Vierungsturms oberhalb des Tambour; vier Türme
mit quadratischem Grundriss, Osttürme in den oberen Turmgeschossen mit rundbogigen Dreifachfenstern
("Triforien-Fenster"), die Westtürme mit Zwillingsfenstern (Biforien),
jeweils geteilt durch Säulen ("Teilungssäulchen"); achteckige und minimal gewölbte Turmdächer mit
Kupferblech-Dachdeckung über Dreiecksgiebeln, Oktogon-Turmhelme
über "rheinischen Giebeln", konstruktiv korrekt:
Rheinische Turmhelme mit überhöhtem Firstpunkt, woraus sich
vier vertikal über die Symmetrieachse gebrochene Drachenvierecks-Dachflächen
ergeben ‒ und keine Rhomben- oder Rautendachflächen, wie häufig behauptet;
siehe dazu die Hinweise ganz unten.
Die folgenden Bildgruppen zeigen in der Reihenfolge die Ostseite mit Osttürmen
und Chor, einige Bilder der Westtürme, danach Südseite und Westwerk am Domplatz
mit Blick aus der Maximilianstraße sowie den Innenraum. Alle Aufnahmen leider bei trüben
Lichtverhältnissen, viele Fotos auch von Doris Rauscher, Aufnahmedatum: 8.9.2019
Literatur und weitere Informationen:
► Lexikon der Kunst (Autorengruppe). Verlag E. A. Seemann,
Leipzig 1987-1994, Band 6, ab Seite 794
► Denkmalverzeichnis Kreisfreie
Stadt Speyer, herausgegeben von der Generaldirektion
Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, als Kurzfassung im Internet zu finden
unter http://denkmallisten.gdke-rlp.de/Speyer.pdf
► Georg Dehio: Handbuch der
Deutschen Kunstdenkmäler. Begründet vom Tag für Denkmalpflege. Band IVa
Südwestdeutschland. Deutscher Kunstverlag, fünfte unveränderte Auflage,
Berlin 1937, Seiten 316-321. "Die Westfassade unter Beseitigung
des Neumannschen Baus 1852 von Heinrich Hübsch, weder archäologisch treu, noch künstlerisch
frei — unter den vielen Unglücksfällen, die den Dom betroffen haben, nicht der kleinste."
► Friedrich Blaul: Der Kaiserdom zu Speier. Führer
und Erinnerungsbuch. Verlag von A. H. Gottschick's Buchhandlung, Neustadt an der Haardt 1860;
mit einer sehr ausführlichen Beschreibung der heute größtenteils nicht mehr vorhandenen
Ausmalung des Innenraums von 1853.
► Domkapitel Speyer,
Website unter https://www.dom-zu-speyer.de/wissenswert/
► Dombauverein Speyer,
Website unter https://www.dombauverein-speyer.de
► Walter Haas: Die nachmittelalterliche Baugeschichte
des Speyerer Domes. Enthalten in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen
und archäologischen Erforschung. Sechster Band: Geistliche Zentralorte zwischen Liturgie,
Architektur, Gottes- und Herrscherlob: Limburg und Speyer. Herausgegeben von Caspar Ehlers
und Helmut Flachenecker. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, Seiten 69-86
► Georg Pilz: Romanische Kirchen.
Aus der Reihe "Unsere schöne Heimat". Sachsenverlag Dresden 1956; mit
vier ganzseitigen Fotos (Abbildungen 14-17) des Speyerer Doms im Zustand
vor 1956 noch mit dem alten Chorgiebel mit ansteigender Arkadengalerie
und den Dachwalmen über dem Querhaus.
► Wilhelm Pinder:
Deutsche Dome des Mittelalters. Die Blauen Bücher, Verlag Karl
Robert Langewiesche, Königstein im Taunus & Leipzig, 179.-193.Tausend,
1924; 64 Seiten mit 59 Foto-Bildseiten und 2 Fotos im Text, der oder die
Fotografen werden nicht genannt. Ein bis heute guter Foto-Bildband zur
Kirchenbaukunst von Romanik und Gotik, erschienen 1910 als erster Architektur-Bildband
der bekannten Reihe "Die Blauen Bücher", seitdem in vielen Auflagen bis in
die 1960er Jahre. Der langatmig-schwafelige Einführungstext bietet allerdings
keinerlei baugeschichtliche Erkenntnis.
Speyer (Pfalz / Rheinpfalz;
Rheinland-Pfalz), romanischer Dom St. Maria und St. Stephan (weitere Angaben siehe oben),
Details der Südseite, Bruchstein- und Quadermauerwerk, gelber und rötlicher
Pfälzer Sandstein aus unterschiedlichen Bauphasen, teilweise mit später
bei Sanierungen eingesetzten keramischen Fundstücken; Stephanus-Portal
(Südwest-Portal), Bronzeportal von 1962 nach Entwurf von Toni Schneider-Manzell,
im Bogenfeld der Kopf des heiligen Papstes Stephanus I., auf den Türflügeln links ein Delphin
und rechts eine Eidechse; Otto-Portal (Südost-Portal), Bronzeportal von
1967 nach Entwurf von Karl Heinrich Emanuel, im Bogenfeld der heilige Bischof
Otto; in das Fassadenmauerwerk über dem Sockel eingesetzt ein Epitaph; Aufnahmedatum: 8.9.2019
Speyer (Pfalz / Rheinpfalz;
Rheinland-Pfalz), neoromanisches Westwerk (Westbau) zum
romanischen Dom St. Maria und St. Stephan (weitere Angaben siehe oben),
errichtet 1854-1858 nach Entwurf und unter Leitung des
Architekten und Baubeamten Heinrich Hübsch (1795-1863, Autor der berühmten
Schrift von 1828 "In welchem Style sollen wir bauen?") in Anlehnung an die
(vermutete) romanische Westfassade, aber deutlich prächtiger in der
Gestaltung, jedenfalls auf den Grundmauern des Vorgängerbaus; Gliederung
und Strukturierung des Flächenmauerwerks der Fassade durch gelben und roten
Sandstein. Bauführer unter Hübsch war der spätere erzbischöfliche Baumeister
Friedrich Feederle (1825-1869; auch, aber falsch: Federle). Zum Zeitpunkt
der Errichtung des Baus wurde im deutschen Sprachraum meist noch von
Rundbogenstil und nicht von Romanik bzw.
Neoromanik gesprochen.
Unten Eingangshalle / Vorhalle mit drei Portalen, darüber
der "Kaisersaal" unter einer achteckigen Kuppel (Glockenturm) mit
Steinplatten-Dachdeckung; Westseite mit risalitartig betontem
übergiebelten Mittelteil mit Hauptportal unter Skulpturennischen und
Fensterrose / Fensterrosette (hier als romanisches "Radfenster" mit
Säulchen-Speichen), unterhalb der Traufe umlaufend eine Zwerggalerie;
sämtliche Skulpturen / Statuen und Reliefs aus gelbem Sandstein. An der
Eingangsfassade rechts eine kupferne Gedenktafel zur Erinnerung an den Besuch
von Papst Johannes Paul II. am 4.5.1987 mit einem Zitat aus seiner
Rede: "Das Leid der gespaltenen Christenheit ist das Leid dieses Gotteshauses.
Es ist ein Denkmal der Einheit die einmal gewesen ist und ein Mahnmal zur Einheit
wie sie wieder kommen muss." Aufnahmen bei trüben Lichtverhältnissen, Aufnahmedatum: 8.9.2019
► Literatur: Franz Xaver Remling: Nikolaus von Weis,
Bischof zu Speyer, im Leben und Wirken. Zweiter Band sammt Urkundenbuche. Ferdinand Kleeberger,
Speyer 1871. Siebenzehnter Abschnitt: Bemühen und Sorgen für die Kathedrale, § 3: Neubau der
Westseite des Domes; ab Seite 260 mit einer ausführlichen Beschreibung des (organisatorischen)
Bauablaufs und der vorangehenden langwierigen Diskussionen um Gestaltungs- und Finanzierungsfragen.
Rautendach (auch: Rhombendach,
Rheinischer Turmhelm, Rheinisches Helmdach, Rheinischer Helm): Das romanische
Rheinische Helmdach ist ursprünglich ein Rautendach auf quadratischem
Turmgrundriss, ein Rheinischer Rautenhelm, alle Turmwände sind nach
oben durch einen Dreiecksgiebel abgeschlossen (der hier im Rheinland auch als
Rheinischer Giebel oder Rheinischer Turmgiebel
bezeichnet wird), die Lage des Firstpunktes ergibt sich dabei konstruktiv zwingend
aus der Länge der Giebelkanten, nur dann entstehen vier Rautenflächen als ebene
(ungebrochene) Dachflächen. Diese Dachform nennt der Volksmund regional auch
"Bischofsmütze", erst durch die spätere Kunstwissenschaft
wurde sie als Rhombendach, Rhombenhelm oder
Rhombenhaube bezeichnet. Die Längen der Giebelkanten
und der auf den Giebelspitzen aufsitzenden Dachgrate sind gleich.
Hebt man den Firstpunkt an ohne die Giebelgeometrie zu ändern,
so entstehen bei einem quadratischen Turmgrundriss vertikal (über die
Symmetrieachse) gebrochene Drachenvierecks-Dachflächen, ungebrochene
ebene Dachflächen zwischen zwei Giebelspitzen sind nicht mehr möglich.
Diese Dachform liegt bei den Domtürmen in Speyer vor; auch diese
Turmdächer werden allgemein noch als "Rheinische Helme" bezeichnet,
solange sie nicht deutlich gotische Proportionen annehmen, die Übergänge
sind fließend. Setzt man den Firstpunkt tiefer als beim Rautendach ohne
Änderung der Giebelgeometrie, so entstehen Faltdächer (Faltendächer).
Insgesamt höhere und schlankere (spätromanische, frühgotische) Rautendächer
sind damit nur über hochformatigen Giebeldreiecken möglich, siehe Foto Koblenz.
Im Normalfall überdecken die Dachflächen die Giebelkanten bis zur
Außenseite der Giebelwandfläche bzw. Außenkante des Giebelgesimses. Wenn
die Dachflächen rückseitig oder deutlich zurückgesetzt gegen das Giebelmauerwerk
stoßen und die Giebelkanten deutlich über die Dachflächen hinausragen, spricht man
von Schildgiebeln. Da die Dachflächen in Speyer nicht
ebenflächig durchlaufend (ungebrochen) bis über das Giebelgesims sondern
abgeknickt mit einer Kehle auf das Gesims geführt sind, liegt hier eine
Zwischenform vor: keine echten überstehenden Schildgiebel, aber auch
keine normal überdeckten Giebel. Ferdinand Luthmer bezeichnet diese
Giebelform im Nassauischen Kreis (zumindest teilweise rheinländisches
Gebiet) als "Freien Giebel"; das Ganze ist
eine rein kunsttheoretische Diskussion. Diese Deckungsart ist bei
Turmdächern die häufigste, weil sie dazu führt, dass das Regenwasser
oberhalb der Giebelkanten zu den Fußpunkten der Giebel laufen und von dort
abfließen kann, meist über Wasserspeier.
Literatur z.B.:
► Ferdinand Luthmer: Die Bau- und Kunstdenkmäler des
Regierungsbezirks Wiesbaden. Herausgegeben von dem Bezirksverband des Regierungsbezirks Wiesbaden.
VI. Band: Nachlese und Ergänzungen zu den Bänden I bis V und Gesamt-Register. Kommissionsverlag
von Heinrich Keller, Frankfurt a.M. 1921. Darin enthalten als separater Beitrag auf den Seiten 161-173:
Nassauische Kirchturm-Typen, mit vielen Zeichnungen zu romanischen und gotischen
Türmen und Turmhauben auf 8 Tafeln, Türme mit Rautendach, Türme mit freien Giebeln, Welsche Hauben, Dachreiter, usw.
► Oskar Doering: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und
Kunstdenkmäler der Kreise Halberstadt Land und Stadt. Herausgegeben von der Historischen Commission
für die Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt. Halle a.d.S., Druck und Verlag von Otto Hendel, 1902; Seite 319:
"Die beiden westlichen Türme ... sind nach rheinischen Vorbildern dergestalt mit vierseitigem Pyramidaldach
(Bischofsmütze) versehen, dass die Kanten der Pyramide sich auf die Spitzen der vier Giebelmauern aufsetzen.
Die Seitenflächen der Pyramiden haben Rautenform, deren Seitenlinien gleich denen der Giebeldreiecke sind."
► Heinrich Otte: Geschichte der romanischen Baukunst
in Deutschland. Verlag T. O. Weigel, Leipzig 1874; Seite 547: "... den beiden Westtürmen ...
mit den vier Giebeln und den zwischen denselben in Sachsen sonst nicht üblichen rheinischen Rautenhelmen ..."
► Robert Dohme: Geschichte der Deutschen Baukunst.
(Enthalten in: Geschichte der Deutschen Kunst.) G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung, Berlin, Druck von
Fischer & Wittig, Leipzig 1886; Seite 37 (mit Abbildung): "... Liebfrauenkirche in
Halberstadt mit ihren rheinischen Rhombenhauben auf den Türmen ..."
► Hans Vogts: Dach. Enthalten in:
Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Band III (1953), Spalte 911-968; im Internet
zu finden unter: RDK Labor, http://www.rdklabor.de/w/?oldid=92651
Die folgenden Fotos zeigen in der ersten Bildreihe links die Liebfrauenkirche in
Halberstadt, einer der Westtürme um 1230 mit hohem "Rheinischen Rautenhelm"
und Wasserspeiern, Höhe des Rautenhelms = 16,30 m. Danach dreimal der Dom in Speyer,
erst ein Ostturm, dann zweimal der südwestliche Turm, das Dach dieses Westturms minimal
gewölbt. In der zweiten Bildreihe links einer der Westtürme der Basilika Sankt Kastor
in Koblenz, ein sehr hoher schlanker "Rheinischer Rautenhelm" aus der Zeit
um 1180 (Foto von Holger Weinandt bei Wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de, Bildausschnitt
bearbeitet). Danach der Dom von Halberstadt (Sachsen-Anhalt), ein neogotischer Turm von
1896 mit achteckigem Dach über Dreiecksgiebeln, ein Oktogon-Turmhelme über
"rheinischen Giebeln". Danach die romanische Klosterkirche in Hecklingen
(Sachsen-Anhalt), einer der neo-spätromanischen / neo-frühgotischen Westtürme aus der
Rekonstruktionsphase um 1880 mit achteckigem Dach über Dreiecks-Schildgiebeln und
Wasserspeiern; das Dach mit Schieferdeckung ist leicht windschief. Aus diesen schlanken
achteckigen Dachformen sind dann in der weiteren Entwicklung die gotischen Turmhelme in
mehreren Varianten entstanden. Zuletzt nur zum Vergleich der neoromanische Turmhelm der
Dorfkirche in Danna (Brandenburg) von 1885 mit spitzem Pyramidendach (quadratisches
Zeltdach) und Schieferdeckung über Schildgiebeln.
Die Konstruktionszeichnungen für einen Rheinischen Rautenhelm (fiktiv,
ohne konkreten Ortsbezug) wurden entnommen aus: Adolf Opderbecke: Der Zimmermann.
Umfassend die Verbindungen der Hölzer untereinander, die Fachwerkwände, Balkenlagen, Dächer
einschließlich der Schiftungen und die Baugerüste. Für den Schulgebrauch und die Baupraxis.
Mit 732 Textabbildungen und 25 Tafeln. Zweite vermehrte Auflage. Verlag von Bernhard Friedrich
Voigt, Leipzig 1902; Seiten 223-224, dort bezeichnet als Rhombenhaubendach.
Die Zeichnung zeigt nur die Dachkonstruktion mit Dachstuhl, nicht jedoch den Glockenstuhl. Das
Buch ist als PDF zu finden bei der TU Krakau unter https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl
Die folgenden Bilder verdeutlichen im Vergleich die Abhängigkeit der Rautenform
von der Neigung der Giebelkanten (Ortgänge). Die Veröffentlichung der Fotos
erfolgt mit freundlicher Genehmigung bzw. mit freier Lizenz von Wikipedia, es
handelt sich jeweils um bearbeitete Bildausschnitte der Originalfotos. Zuerst
die Basilika Sankt Kastor in Koblenz (Wikipedia, Fotograf: Holger Weinandt).
Danach die neoromanische St. John’s Church in Sankt Moritz (Schweiz,
Fotografin: Diane Conrad). Im dritten Bild die Marienkirche in Dortmund
(Wikipedia, Fotograf: Mbdortmund). Zuletzt die Abteikirche Maria Laach in
Glees (Wikipedia, Fotograf: Jean Housen). Die als "Rheinische Giebel"
bezeichneten Dreiecksgiebel sind gestalterisch (aber nicht konstruktiv) immer
durch ein unterschiedlich stark profiliertes Gesims (Kranzgesims,
"Krönungsgesims") oder durch einen plastischen Fries (z.B.
Bogenfries) vom Turmmauerwerk getrennt, die Giebelflächen durch rundbogige
Öffnungen (z.B. Biforien) oder Blenden gegliedert. Deshalb sollte man bei
St. John (zweites Bild) auch nicht von Rheinischen Giebeln und einem
Rheinischen Turmhelm sprechen sondern gebietsneutral von einem Rautendach /
Rhombendach über Dreiecksgiebeln bzw. insgesamt von einem neoromanischen
Rautenhelm / Rhombenhelm.
(Dieser Beitrag zum Thema Rautendach wurde hier erstmalig veröffentlicht
am 25.1.2020, letzte Ergänzung am 4.1.2023)
Speyer (Pfalz / Rheinpfalz;
Rheinland-Pfalz), romanischer Dom St. Maria und St. Stephan (weitere Angaben siehe oben),
einige Bilder aus dem Innenraum des Doms; Mittelschiff und
nördliches Seitenschiff, Details des
Sandsteinmauerwerks; die teilweise sichtbaren Pickhiebe auf den
Sandsteinoberflächen stammen aus dem 19.Jahrhundert, hergestellt zur
besseren Haftung des Putzgrundes für die Ausmalung der Kirche, diese samt Putzgrund
in den 1960er Jahren wieder entfernt; im untersten Bereich der noch vorhandenen
Wandbilder verliefen ursprünglich Sandsteingesimse zwischen den
Bundpfeilern auf Höhe der Gesimse um die dreiviertelsäulenförmigen Pfeilervorlagen
(Dienste der Gurtbögen), sie wurden abgeschlagen zur Gewinnung von Malfläche;
unter der Vierungskuppel hängt eine Nachbildung der römisch-deutschen
Kaiserkrone aus Kupfer (um 1906); Sandstein-Epitaphe; zuletzt einige
Bilder aus der Krypta; Aufnahmedatum: 8.9.2019
Speyer (Pfalz / Rheinpfalz; Rheinland-Pfalz),
Standbilder der Fränkisch-Salischen Kaiser im Domgarten neben dem südlichen
Weg zum Dom; die Figurengruppen sollten in der Apsis oder der Vorhalle des Doms aufgestellt
werden im Zuge der nationalsozialistischen Vereinnahmung des Bauwerks, geschaffen
um 1938 im Auftrag des Reichsinnenministers Wilhelm Frick durch den Bildhauer
Ludwig Cauer aus Bad Kreuznach; das Vorhaben wurde durch Bischof und Domkapitel abgelehnt, der
Krieg verhinderte die weiteren Planungen (angeblich unter Albert Speer) zur Umgestaltung des Doms in ein "Nationalheiligtum";
Aufnahmen bei trüben Lichtverhältnissen, Aufnahmedatum: 8.9.2019
► Weitere Informationen siehe unter http://historischer-verein-speyer.de/?p=1598
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