Straupitz
(Niederlausitz, Landkreis Dahme-Spreewald; Brandenburg); "Schloss
Straupitz", ehemaliges Herrenhaus / Gutshaus der Familie /
Standesherrschaft von Houwald, errichtet 1795-1798, in
der Folgezeit wohl teilweise verändert, 1945 Enteignung, seit 1947 bis
heute Nutzung als kommunales Schulgebäude; zweigeschossiger Putzbau,
vierflügelige Fenster in barocker Teilung mit mittigem Kämpferholz (in
der gestalterischen Wirkung dadurch wie barocke Kreuzstockfenster), je
Fensterflügel eine Quersprosse, einige Fenster als Blindfenster
(Blendfenster, Fensterblende) ausgeführt; Mansard-Walmdach (Mansartdach,
siehe unten) mit neuer Biberschwanz-Doppeldeckung und stehenden Dachgauben
(Dachhäuschen) mit Segmentbogen-Verdachung; Grundsanierung und Restaurierung
1997-2002; aufwendige schmiedeeiserne Toranlage zwischen hohen gemauerten
und verputzten Torpfeilern, diese bekrönt mit geschmiedeten Aufsätzen,
Zaunfelder der Einfriedung überwiegend erneuert; an der Zufahrtsstraße steht
eine eindrucksvolle alte Lindenreihe; Aufnahmen bei unterschiedlichen
Lichtverhältnissen, Aufnahmedatum: 17.8.2011
Literatur:
► Georg Dehio: Handbuch der
deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg. Aktuelle Bearbeitung
durch Autorengruppe im Auftrag der Dehio-Vereinigung; Deutscher
Kunstverlag, München / Berlin 2000, Seite 1033
► Herrenhäuser in Brandenburg und
der Niederlausitz. Kommentierte Ausgabe des Ansichtenwerks von
Alexander Duncker (1857-1883). Herausgegeben von Peter-Michael Hahn und
Hellmut Lorenz. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin
2000, Seiten 577-580
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Mansarddach, Mansart-Dach, Gebrochenes Dach:
Hier auf den Seiten der Stockphoto-Galerie Nr.3 sind diverse Mansarddächer / Mansartdächer zu sehen. Die offizielle
deutschsprachige Bezeichnung (Duden) nimmt Bezug auf die Mansarde (frz.: la mansarde), den Wohnraum im Dach,
leider nicht auf das Mansart-Dach insgesamt (frz.: comble à la Mansart, toit à la Mansart) oder
das "Gebrochene Dach" (frz.: comble brisé). Wenn das ganze Dach gemeint ist, sollte
daher baufachlich korrekt als Schreibweise Mansartdach oder Mansart-Dach
verwendet werden, weil die Erfindung der Konstruktion den französischen Architekten und
Baumeistern François Mansart (1598-1666) und Jules Hardouin-Mansart
(1646-1708, Großneffe von François Mansart) zugeschrieben wurde. Diese haben das Dach jedoch nicht
erfunden sondern nur eine schon wesentlich früher einsetzende architektonisch-gestalterische und
dachkonstruktive Entwicklung fortgeführt, bei herrschaftlichen Bauten publikumswirksam zur
Anwendung und damit dauerhaft mit ihrem Namen in Verbindung gebracht. Die aus dem Französischen
übernommenen deutschen Bezeichnungen "Mansarde" und "Mansardendach" sind
zwar abgeleitet aus diesem Familiennamen, der auch im Französischen gelegentlich "Mansard"
geschrieben wurde (besonders bei François Mansart, siehe unten zu d'Aviler), die korrekte Schreibweise
des Namens lautet aber nachweislich Mansart (mit "t"). Ein Wohnraum
oder eine Wohnung im Dachgeschoss (eine Mansarde) kann sich nach heutigem Sprachgebrauch
auch unter einem Satteldach oder Walmdach befinden, es gibt keinen zwingenden
Zusammenhang mehr zwischen der Mansardenwohnung (die sich immer im Dachraum
befindet, im Gegensatz zur Etagenwohnung) und dem Mansartdach als Dachkonstruktion.
Der Begriff "Mansarde" hat sich im Laufe der Zeit abgekoppelt von seinem
Ursprung und führt jetzt ein Eigenleben.
Die Ursprünge des Mansartdaches sind in den alten sehr steil geneigten
französischen Dachformen des frühen 17.Jahrhunderts mit abgeplatteter
Firstfläche (frz.: plateau, plafond, terrasse / terrasson) zu suchen, abgeplattet
ähnlich einem Pyramidenstumpf. Die von unten sichtbaren Steildachflächen
wurden mit Schiefer, die Flachdachflächen mit Blei gedeckt. Die Kante
(Knick) zwischen beiden Dachflächen wurde als Gesims gestaltet (Plateaugesims,
Mansardengesims) und häufig durch aufgesetzte niedrige und kunstvoll gestaltete
Balustraden oder Ziergitter betont, von unten erscheinen diese dann als
eine Art Dachbekrönung, bei (für den Aufenthalt) begehbaren
Dachterrassen durch geschmiedete Geländer. Einige dieser Dächer sind noch
heute in Frankreich zu sehen, sie wurden dort als Comble coupé
(beschnittenes Dach) und im Deutschen später als Plateaudach oder
Plattformdach bezeichnet, zur Unterscheidung von den Mansartdächern.
Wie das Zitat unten zeigt, wurde in Frankreich wohl meist nicht differenziert
zwischen Comble coupé (beschnittenes Dach) und Comble brisé (gebrochenes Dach =
comble a la Mansarde). Mit welch sonderbaren Konstruktionen diese altfranzösischen
Combles coupés teilweise realisiert wurden, ist auf dem Luftbild von Schloss
Fontainebleau ganz unten zu sehen. Die bei zunehmenden Gebäudetiefen und
gleichbleibender Neigung der Steildachflächen immer größer werdenden
Plateauflächen wurden später zur besseren Wasserableitung als flach geneigte
und damit auch von unten sichtbare Walmdächer ausgebildet, woraus sich
insgesamt formal, aber vorerst noch nicht als konstruktive Einheit
die Frühform des Mansartdaches ergeben hat mit Unterdach (frz.: vrai comble,
das wahre echte Dach) und Oberdach (frz.: faux comble, das falsche unechte Dach).
Aus dieser Form haben dann nicht nur die beiden Mansart's neue und eigenständige
Gesamtkonstruktionen entwickelt. Bereits 1546 hatte der Pariser
Baumeister Pierre Lescot (auch: Pierre L'Escot, 1510/15-1578)
beim Palais du Louvre eine vergleichbare Dachform entworfen, siehe Abbildung
unten. Wer die später als "Mansartdach" bezeichnete Dachform erstmalig
konstruiert und angewendet hat, lässt sich nicht mehr ermitteln, viele der
damaligen Bauten existieren nicht mehr.
In Deutschland hat sich das Mansartdach etwa ab 1700
ausgebreitet, mindestens seit dieser Zeit wurde es publiziert, auch hier unter französischem
Einfluss zuerst bei herrschaftlichen Bauten, jedoch allgemein mit steiler geneigtem Oberdach
als in Frankreich und konstruktiv anderer Ausführung. In der deutschen zeitgenössischen
Baufachliteratur wurden Mansartdächer als "Gebrochenes Dach",
"Französisches Dach" oder "Welsches Dach" bezeichnet, offenbar erst seit
Anfang des 18.Jahrhunderts auch als "Mansardisches Dach" oder "Dach à
la Mansarde" und später zumeist nur noch als "Mansardendach". Vielfach findet
sich zu allen Zeiten in der Literatur eine Unterscheidung in altdeutsches = gotisches =
altfranzösisches Dach (sehr hohe und steil geneigte Dachflächen), gebrochenes
= neufranzösisches Dach (Mansartdach), holländisches Dach (Walmdach) sowie
italienisches Dach (sehr flach geneigtes Dach, meist als Satteldach).
Ein seinerzeit verbreitetes Fachbuch für Zimmerleute war das von Johann Wilhelm: Architectura
Civilis, oder Beschreibung und Vorreissung vieler vornehmer Dachwerck, als hoher Helmen,
Creutztächer, Wiederkehrungen, Welscher Hauben, ... Alles mit höchstem Fleiß zusammen getragen ...
von Johann Wilhelm, Meister in des Heiligen Römischen Reichs-Stadt Franckfurt am Mayn. Nürnberg
1668 (zweite vermehrte Auflage) / 1649 (erste Auflage). In
diesem Buch kommt das "Gebrochene Dach" noch nicht vor, es war 1668 in Deutschland
noch kaum bekannt und damit baufachlich noch nicht interessant.
Konstruktiv wurde von den deutschen Architekturtheoretikern des Barock meist versucht,
im Vertikalschnitt die äußere Kontur der Dachform durch Zirkelschlag aus einem Halbkreis
zu entwickeln, dieser durch weitere Zirkelschläge mit dem gleichen Radius geteilt in
vier oder sechs Segmente, aus den Verbindungslinien zwischen den Schnittpunkten
entstanden dann unterschiedliche Varianten des Mansartdaches; siehe Abbildungen unten.
Es gab jedoch auch höchst komplizierte Konstruktionsversuche, die zwar für den Theoretiker
interessant waren, für den ausführenden Zimmermann jedoch nicht praktikabel. In der gebauten
Realität dürften wohl nur wenige Mansartdächer diesen Idealproportionen entsprechen.
Im Folgenden einige Literatur- und Quellenangaben ab 1691 mit Fundstellen
zu Bezeichnung, Schreibweise und grafischer Darstellung der konstruktiven und gestalterischen
Entwicklungen. Zuerst das 1691 erschienene zweibändige Werk des französischen Architekten
Augustin Charles d'Aviler (1653-1701), kurzzeitig Mitarbeiter bei Jules Hardouin-Mansart
(1646-1708), das Standardwerk für den Baupraktiker mit den meisten Auflagen, auf das
sich fast alle deutschen Autoren des Barock in den nachfolgenden Jahrzehnten beziehen (der
Name d'Aviler erscheint dabei in den deutschen Texten häufig als "Daviler").
Das eigentliche Fachbuch zur Architektur ist Band 1 mit sehr vielen Kupferstichen, Band 2
dazu das Lexikon mit etwa 4.000 Einträgen zur Erklärung der architektonischen, technischen,
künstlerischen und historischen Begriffe und Zusammenhänge:
► Augustin Charles d'Aviler (Daviler):
Cours d'architecture qui comprend les ordres de Vignole, avec des commentaires,
les figures & descriptions de ses plus beaux bâtimens ... & tout ce qui regarde
l'art de bâtir ... (Band 1), Paris, Chez Nicolas Langlois, 1691, Avec
Privilege du Roy. (Lehrgang zur Architektur mit den Anweisungen des Vignola, mit
Kommentaren, Abbildungen und Beschreibungen der schönsten Gebäude ... & allem,
was mit der Kunst des Bauens zu tun hat ...). Nachfolgend der gleiche Bildausschnitt
aus Seite 187, Tafel 64 A "Diverses especes de combles avec leurs assemblages
et couvertures" (Verschiedene Arten von Dächern mit ihren Konstruktionen und
Eindeckungen), zuerst Ausgabe 1691, danach Ausgabe 1720
zum Vergleich, Zeichnungen und Text sind unverändert. Die Bücher werden als PDF zur
Verfügung gestellt z.B. durch die Universitätsbibliothek Heidelberg unter
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/daviler1720bd1 (Ausgabe 1720) oder durch Internet Archive
in San Francisco / USA unter https://archive.org/details/coursdarchitectu01avil_0 (Ausgabe 1691).
Die Zeichnungen sind überschrieben mit "Developement des pieces du comble brisé
ou coupé dit a la Mansarde"
(Entwicklung der Teile des Gebrochenen oder Beschnittenen Daches, das à
la Mansarde genannt wird). Im Textteil des Bandes 1 werden die Architekten
François Mansart und Jules Hardouin-Mansart mehrfach erwähnt, korrekt
geschrieben. In Band 2 (Lexikon) findet man auf Seite 659 den Eintrag:
"Mansarde: Voyez Comble coupé." (siehe Comble coupé). Auf Seite 495
steht dann: "Comble coupé ou brisé, celui qui est composé du vrai
Comble qui est roide, & du Faux Comble qui est couché & qui en fait la
partie supérieure. On l'appelle aussi Comble à la Mansarde, parce qu'on
en attribuë l'invention à François Mansard celébre Architecte."
(Beschnittenes oder gebrochenes Dach, das zusammengesetzt ist aus einem
echten Dach, welches stabil ist, und einem darauf liegenden falschen Dach,
welches den oberen Teil ausmacht. Es wird auch Dach à la Mansarde genannt,
weil seine Erfindung dem berühmten Architekten François Mansard zugeschrieben
wird.) D'Aviler nimmt somit ausdrücklich Bezug auf den Namen "Mansard",
hier aber geschrieben mit "d". Es könnte sein, dass in dieser französischen
Publikation durch ihre enorme Verbreitung die Ursprünge liegen für die unterschiedliche
Schreibweise; also schlicht eine Sprachungenauigkeit. Wenn es sich um ein Dach
"nach Art des Mansart" / "im Stil von Mansart" handelt,
hätte es korrekt schon damals "comble à la Mansart" und nicht
"comble à la Mansarde" heißen müssen. Heute wird in qualifizierten
französischen Texten von comble / toit à la Mansart gesprochen, so z.B. 2017
im Katalog zur Pariser Ausstellung "Paris Haussmann: Modèle de Ville".
► Zur architekturgeschichtlichen Einordnung dieses
berühmten Werkes siehe Jean-François Cabestan auf der französischen Website
Architectura unter Les livres d’architecture
(Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne, 2012), zu finden unter
http://architectura.cesr.univ-tours.fr/traite/Notice/ENSBA_LES223.asp
► Hinweis: In französischen Texten werden
die Begriffe comble / combles und
toit / toits häufig synonym verwendet. Dabei
bezeichnet jedoch Comble das gesamte Dachgeschoss einschließlich Dachstuhl und Innenraum
/ Dachboden, toit nur das Dach in seiner Außenwirkung als Dachfläche und Dachhaut.


► Nicolai Goldmann, Leonhard Christoph Sturm: Vollständige
Anweisung zu der Civil-Bau-Kunst ... Baumeistern, Mahlern und Bildhauern wie auch Mäurern,
Zimmerleuten und Tischern zu guten Dienst in öffentlichen Druk gegeben ... Braunschweig, Gedruckt bey
Heinrich Keßlern, 1699. Im Anhang dazu: Erste Ausübung der Vortreflichen und Vollständigen
Anweisung zu der Civil-Bau-Kunst Nicolai Goldmanns ..., Braunschweig 1699; Seiten 97-98: "Wie es mit der
Mode der Kleider beschaffen ist, daß den Leuten bald dieses, bald dessen Gegenspiel gefället, so gehet
es auch in vielen stükken mit den Häusern. Manchen gefällt ein hoher Hut, manchen ein niedriger besser,
was nun davon Mode ist, beliebet jederman. Einem pur teutschen gemüthe behaget allein ein steiles hohes
fein holzreiches Dach, einem andern der nichts achtet, als was frembde ist, gefället ein
niedrig Italiänisches, einem andern ein gebrochenes Französisches
besser. ... Die Franzosen ... haben zweyerley Dächer, entweder gantze mit einem Sparren sich schliessende,
eben wie wir, hernach auch gebrochene, welche erst steil aufwerts gehen, hernach aber sich brechen, und
gantz flach werden, welche man von dem Erfinder Mansard bey ihnen Toits à la Mansarde
nennet ...". Nachfolgend ein Ausschnitt aus Tafel 15 (Tableau XV), Figuren 4-7:
Das "Teutsche Dach" und das "Französische Dach",
hier jedoch jeweils in besonderen Konstruktionen als Hängewerke. Das Buch wird als PDF zur Verfügung
gestellt durch die Universitätsbibliothek Heidelberg unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/goldmann1699
Das 1699 erschienene berühmte Werk des barocken Mathematikers und
Architekturtheoretikers Nicolaus (Nicolai) Goldmann (1611-1665) wurde
erst mehr als 30 Jahre nach seinem Tod verbunden mit Kommentaren,
Erweiterungen und Zeichnungen herausgegeben vom Mathematiker, Architekturtheoretiker
und Baumeister Leonhard Christoph Sturm (1669-1719; weitere biografische Angaben siehe z.B.
unter https://www.deutsche-biographie.de/gnd117364177.html#ndbcontent).

► Paul Decker: Ausführliche Anleitung
zur Civilbau-Kunst. Nürnberg, Verlegt und zu finden bey Joh. Christoph Weigel,
Kunsthändlern (ca. 1715). Ein aus drei Tafel-Bänden bestehendes Werk ohne separaten
Text. Die drei Bände werden als PDF zur Verfügung gestellt z.B. durch die Universitätsbibliothek
Heidelberg unter https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/decker1715ga oder als einbändige
Gesamtausgabe unter https://archive.org/details/gri_33125007943356/mode/2up (Internet Archive,
San Francisco, USA, ein gemeinnütziges Projekt mit Bibliothek-Status).
Paul Decker (1677-1713) war Kupferstecher und Baumeister / Architekt, das dreibändige
Tafelwerk zur Civilbau-Kunst wurde von ihm wohl um 1710 gezeichnet und
teilweise auch schon gestochen, erschien aber im Druck erst nach seinem Tod.
Nachfolgend ein Ausschnitt aus Band 3, Tafel T, No.3, bezeichnet mit
"Das Französische gebrochene Dach so
à la Monsarde genennet wird." Im Tafeltext wird erläutert:
"No.3 stellet ein Französisch gebrochenes Dach vor, so nach dem Erfinder a la Mansarde
genenet wird. Daviler beschreibt dieses Dach also, das unter Dach muß
sich in die Helffte einwarts neigen, hingegen das Aufsatz Dach soll halb
so hoch seyn, als die Länge seines Sparrens. Die weite dieses Dachs wird
aus einem halben Circkel genomen, der in 4 theil getheilet wird, davon
die helffte den Bruch giebt. Sie bedienen sich zwar noch mehrere Arten,
darüber sie aber wenig Regeln geben könen." Bei der in der
Bildunterschrift verwendeten Bezeichnung "Monsarde"
handelt es sich ganz offenbar um einen rein grafischen Fehler, an
anderen Textstellen im Buch wird immer von "Mansarde" gesprochen, so
z.B. auf Tafel F ganz unten: "Das Tach aber ist nach Französischer Art
gebrochen, so à la Mansarde genenet wird." Wie man sehen
kann, ist die Zeichnung gespiegelt abgekupfert von d'Aviler (siehe oben).
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► Johann Jacob Schübler: Nützliche Anweisung zur
unentbehrlichen Zimmermanns-Kunst, von den Antiquen und Modernen proportionirten Dächern ...
Nürnberg, in Verlegung Joh. Christoph Weigels, gedruckt bey Lorentz Bieling, 1731.
Seite 15, § 36: "So aber die Dächer nach mehr als nach inerley Winckel verschiedene geneigte Flächen
haben; so werden sie insgemein Französische und Mansardische oder
gebrochene Dächer genennet. Welche entweder von denen Werckleuten
nach der Französischen Charpenterie mit Holtz verbunden, oder nach der teutschen Art mit
Verschwöllungen und einiger Veränderung der übrigen Höltzer gemacht, und insgemein Mode,
oder vielmehr vermischte Dächer benahmset werden; weilen
selbige aus einem abgekürtztem hohen alten teutschen Dach, und aus einem
sehr niedrigen Italiänischen Dach entsprungen, und von Mansard fast zu
allgemeinen Gebrauch unter die Werckleute gebracht worden." Seite 24, §§ 84-85: "... und noch
etwas von der Haupt-Verhältnis des Französischen gebrochenen Dachs gedenken,
welches Franciscus Mansard zu allgemeinen Gebrauch eingeführet hat ... und insgemein
Toits a la Mansarde heisset ...". Das Buch wird als PDF zur Verfügung gestellt
durch die Universitätsbibliothek Heidelberg unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/schuebler1731
Nachfolgend ein Ausschnitt aus Tafel 7 mit Dachkonstruktionen vor dem
Wirken von François Mansart (1598-1666), dabei unten links das 1546 von Pierre
Lescot (1510/15-1578) entworfene Dach für den Louvre: Falls diese Darstellung
korrekt ist, handelt es sich um eine vergleichsweise simple und von den
späteren Mansartdächern stark abweichende Konstruktion. Die Zierkante am
Dachknick in der Zeichnung oben rechts bei Jaques Pruand ist als
"hängende" Draperie gestaltet, man könnte sie daher als Lambrequin
bezeichnen (weitere Informationen dazu siehe hier:
►). Danach
ein Ausschnitt aus Tafel 5 mit Zirkelschlag-Konstruktionen sowie ein Ausschnitt
aus Tafel 8 mit einer Dachkonstruktion in "Mansardischen Proportionen".

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► Johann Friedrich Penther: Erster Theil einer
ausführlichen Anleitung zur Bürgerlichen Bau-Kunst, enthaltend ein Lexikon Architectonicum
oder Erklärungen der üblichsten Deutschen / Frantzösischen / Italiänischen Kunst-Wörter der Bürgerlichen
Bau-Kunst ... Augspurg, Verlegts Johann Andreas Pfeffel, weil. Kayserl. Hof-Kupferstecher, druckts Christoph
Peter Detleffsen, 1744. Seiten 101-102: "Mansarde, ein Dach a la Mansarde,
oder nach des Französischen Bau-Meisters Erfindung, ingleichen gebrochen Dach." Seiten 49-50:
"Dach ..., ein neu-Französisch Dach, ein gebrochen Dach,
Comble coupé, Comble brisé, Comble a la Mansarde,
welches in einem halben Circul, der in vier Theile geteilet, .... Wiewohl die gebrochenen
Dächer vielfach gemacht werden, daß sie nicht die Theilung nach dem halben Circul nehmen, sondern
mit dem Bruch davon abgehen, weil der Ober-Theil nach der gedachten halben Circul-Theilung zu flach
fällt. Den Unter-Theil dieses Daches nennen die Franzosen ins besondere Comble, den Ober-Theil aber
Faux comble."
Zweyter Theil der ausführlichen Anleitung zur Bürgerlichen Bau-Kunst, worin durch
zwantzig Beyspiele gewiesen, wie die Erfindungen von allerhand Wohn-Gebäuden aus Stein und Holtz ...,
Augspurg ..., 1745. Das Gesamtwerk in 4 Bänden (erschienen 1744, 1745, 1746 und 1748) wird als PDF
in hoher Auflösung zur Verfügung gestellt durch die Universitätsbibliothek Heidelberg unter
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/penther1744ga Weitere Angaben zu Johann
Friedrich Penther (1693-1749; Geodät, Ökonom, Architekt) siehe z.B. unter
https://www.deutsche-biographie.de/sfz114321.html#indexcontent sowie bei Wikipedia.
Nachfolgend zuerst ein Ausschnitt aus Band 1, Tafel XXII, danach ein Ausschnitt aus Band 2, Tafel XLVIII.
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► Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste,
... Halle und Leipzig, Verlegts Johann Heinrich Zedler, Anno 1732-1754. 68 Bände,
284.000 Artikel, das mit Abstand umfangreichste enzyklopädische Werk des 18.Jahrhunderts, digital zu finden
unter www.zedler-lexikon.de (ein Projekt der Bayerischen Staatsbibliothek). Band 19, Spalten 1051-1052:
"Mansardisch Dach, Mansard-Dach, ist ein an seiner schiefliegenden Fläche gebrochenes Dach,
das seinen Ursprung aus Franckreich, und den Nahmen von dem Erfinder bekommen ..." ... "Mansart,
(Franz.) ein berühmter Baumeister, ward 1598 zu Paris gebohren, ... Die gebrochenen Dächer, welche man zu seiner Zeit
in Franckreich eingeführet, sind von ihm Toits à la Mansarde genennet worden ...". Band 44,
Spalte 1086: "Toits à la Mansarde, französische oder gebrochene Dächer, sind, die unten steil
oder jähling aufwärts gehen, hernach aber sich brechen und ganz flach werden. Sie haben den Nahmen von ihrem Erfinder
Mansard, einem Französischen Baumeister."
► Christian Gottlob Reuß: Anweisung zur Zimmermannskunst, ...,
besonders den Zimmerleuten, zum Besten aufgesetzt, und mit nöthigen Kupfern erkläret ... Dritte Auflage. Leipzig,
verlegts Johann Gottlob Immanuel Breitkopf, 1789. Digitalisiert von Google (Exemplar der
Bayerischen Staatsbibliothek / Bibliotheca Regia Monacensis). Seite 2: "Die gebrochenen Dächer werden nach
dem Namen ihres Erfinders Mansards, mansardische oder französische
Dächer genennet." Reuß (1716-1792) war Kurfürstlicher Maschinen- und Hofzimmermeister in Sachsen.
Das Buch enthält sehr viele (auch isometrische) Zeichnungen von einstöckigen und zweistöckigen
Mansartdach-Konstruktionen auf Kupfertafeln, alle nach "teutschem Gemüthe" mit steil geneigtem
Oberdach, so z.B. die folgenden Darstellungen (Ausschnitt aus Tafel 2):
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► Christian Ludwig Stieglitz: Encyklopädie der bürgerlichen Baukunst,
in welcher alle Fächer dieser Kunst nach alphabetischer Ordnung abgehandelt sind. Ein Handbuch für Staatswirthe,
Baumeister und Landwirthe. Leipzig, bey Caspar Fritsch, 1792 (5 Textbände und 1 Tafelband).
Erster Theil (A-D), Seite 512: "Die französischen gebrochenen Dächer haben von ihrem Erfinder,
einem französischen Baumeister, Mansard, den Namen Mansarden erhalten."
► Friedrich Meinert: Die landwirthschaftliche Bauwissenschaft. Erster Theil,
mit 8 Kupfertafeln; Hemmerde und Schwetschke, Halle 1796; Seite 270: "Das eigentlich gebrochene
oder das Mansarddach. Diese Dächer sind noch einmal versimset. Man hat mehrere Arten nach verschiedenen Verhältnissen.
Das Mansarddach (Comble à la Mansarde, nach dem Namen des Erfinders, eines französischen Baumeisters) ist halb so hoch als
breit, und steht im Halbkreise ... Den Untertheil dieses Daches nennen die Franzosen insbesondere Comble, den Obertheil oder das
Aufsatzdach aber Faux Comble."
► Illustriertes Baulexikon in 4 Bänden. Praktisches Hilfs- und
Nachschlagebuch ... Herausgegeben von Oscar Mothes. Verlag und Druck von
Otto Spamer, Leipzig und Berlin 1881-1884; Nachdruck durch Manuscriptum
Verlagsbuchhandlung, Waltrop und Leipzig 1998; Band 3 (1883), Seite
329, im Folgenden sinngemäß zitiert: "Mansardendach, französisch
comble à la Mansart, nach seiner Form nennt man es auch gebrochenes
Dach, französisch comble coupé, comble brisé. Nach Mansarts Vorschrift
sollte das Dach im Profil ein halbes über Eck stehendes Achteck sein.
Die deutschen Baumeister um 1770 konstruirten das Mansardendach so, daß
das Oberdach um 30°, das untere Dach um 60° geneigt war, damit auf dem
Oberdach das Wasser besser ablaufe, auf dem Unterdach der Schnee besser
liegen bleibe, um Passanten minder zu gefährden. Neuerdings sind diese
eigentlich ziemlich unzweckmäßigen Dächer vielfach wieder angewendet worden, und
zwar nicht blos da, wo man Dachwohnungen braucht, sondern auch an Luxusbauten. ...".
Zum Begriff "Plattformdach" siehe Band 2, Seite 84.
► Franz Stade: Die
Holzkonstruktionen. Lehrbuch zum Selbstunterrichte. Verlag von
Moritz Schäfer, Leipzig 1904. Auf den Seiten 194-202: Die Konstruktion
der Mansardendächer, mit sehr vielen Abbildungen zu unterschiedlichen
Gesamtkonstruktionen, Konstruktionsdetails und gestalterischen Ausführungen von
Mansardengesims (Holz oder Zink), Mansardengesims-Geländer (Eisen oder Zink)
und Blenden für Mansarden-Dachfenster (zumeist aus Zink); die Darstellung der
Mansardengesimse zeigt gut, wie die Mansardengesims-Verzierungen aus
Zinkblech als Gratkappen nach unten fortgesetzt wurden. Auf Seite 286 finden sich
Angaben zur Konstruktion von Dachfenstern für Mansarden-Dachwohnungen.
► Paul Schüler: Die
Entstehung und die praktische Bedeutung des Mansart-Daches.
Buch- und Verlagsdruckerei H. Heenemann, Berlin-Wilmersdorf 1939. Diese
als Dissertation verfasste Arbeit versucht etwas vordergründig den
Nachweis zu erbringen, dass sich das "Deutsche Mansart-Dach" zwar aus
dem französischen Dach entwickelt hat, aber dennoch sowohl aus
formal-architektonischer als auch aus konstruktiver Sicht als
eigenständiges deutsches Architekturwerk zu behandeln ist. Dieser
Versuch ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, man sollte ihn nicht
überbewerten. Unabhängig davon ist das Buch nicht nur wegen seiner Fülle an zeichnerischen und
fotografischen Abbildungen sehr interessant.
► Rudolf Köster: Eigennamen im deutschen Wortschatz.
Ein Lexikon. Verlag Walter de Gruyter, Berlin / New York 2003. Seite 110:
"Mansarde, Zimmer im Dachgeschoss. Im 18.Jahrhundert, zuerst in der Bedeutung
'Mansarddach, Mansarddachraum', übernommen aus französisch 'mansarde'. Nach dem französischen
Baumeister Jules Hardouin-Mansart (1646-1708) und dessen Großonkel François Mansart (1598-1666),
die diese Dachkonstruktion häufig anwandten, aber nicht als Erfinder gelten dürfen."
(Dieser Text zum Thema Mansartdach und die leicht bearbeiteten Abbildungen (Bildausschnitte verkleinert
und geschärft) wurden hier erstmalig veröffentlicht am 2.4.2015, letzte Ergänzungen am 4.4.2022)
Plateaudach, Plattformdach, Stuttgarter Dach,
Berliner Dach: Zu allen Zeiten hat es nicht nur handwerklich und ingenieurtechnisch
schöne und konstruktiv klare symmetrische Dachbauwerke gegeben, die mehr oder weniger auf das Mansartdach
zurückzuführen sind, sondern auch diverse Abwandlungen, teilweise unter praktischen Zwängen zur Anpassung
an vorgefundene örtliche Situationen, besonders im Mietwohnungsbau aber zumeist aus rein wirtschaftlichen
Gründen zur maximalen Ausschöpfung bzw. Unterwanderung von baupolizeilichen und steuerrechtlichen
Vorschriften, so z.B. Festsetzungen zur maximal zulässigen Traufhöhe und Anzahl der Geschosse,
Vorschriften zur Dachgestaltung, Steuerpflicht nur für Normalgeschosse, usw.
In Paris hat das Mansartdach extreme Verbreitung gefunden durch den reglementierten großstädtischen
Wohnhausbau unter Georges-Eugène Baron Haussmann (1809-1891), von 1853 bis 1870 Präfekt von
Paris (damals Département de la Seine), häufig weniger in der ursprünglichen herrschaftlichen Form
mit deutlich geneigtem Oberdach als in einer städtebaulich, bautechnisch und wohnungswirtschaftlich
optimierten Variante mit flachem Oberdach als Plateaudach, mit Blech gedeckt und
ohne begehbare Terrasse. Die Dachform wurde angewendet bei freistehenden Gebäuden als Plateau-Walmdach
und bei geschlossener Bauweise als Plateau-Satteldach. Wohnungen unter diesen Dächern waren
Dachgeschosswohnungen (Appartements mansardé) mit geringen Raumhöhen, ganz bewusst geplant und
gefordert für die ärmere Bevölkerung, meist miserabel gedämmt und deshalb im Sommer überhitzt und
im Winter zu kalt. In den städtebaulichen Vorgaben für einzelne Straßenzüge waren unter Haussmann
neben den Geschosshöhen für die normalen Etagen auch die vom öffentlichen Raum aus sichtbaren Dachhöhen
bis zum Knick für die "Toits à la Mansart" enthalten, z.B. mit etwa 3,20 Meter
(Außenmaß, siehe Katalog zur Ausstellung 2017 "Paris Haussmann: Modèle de Ville").
In Deutschland wurde in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts (Gründerjahre, Historismus) das
sogenannte Stuttgarter Dach entwickelt, ein unsymmetrisches Plateaudach ohne
Dachterrasse, Plateaufläche mit Blechdeckung, sowie die aus architektonischer Sicht wohl übelste
konstruktive Abwandlung, das sogenannte Berliner Dach, eine unsymmetrische
Dachform in diversen Varianten (siehe unten). Beide Dachformen waren nicht auf die namengebenden
Städte beschränkt, das Berliner Dach findet man in vielen deutschen Großstädten mit gründerzeitlicher
Blockbebauung und Innenhöfen. Stuttgarter Dächer hatten wie auch alle anderen Plateaudächer der
Gründerjahre eine minimal abgewalmte Dachneigung der Plateaufläche zur Entwässerung. Es folgen
einige dieser Dachformen im Bild, alle Bilder bzw. Bildausschnitte wurden bearbeitet durch Norbert Rauscher,
Angaben zu den Bildquellen jeweils unter den Bildgruppen:
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- Oben links: Schloss Fontainebleau (Frankreich), Gebäudeflügel unten rechts
mit Plateaudach / Comble coupé wohl um 1550, zur Entwässerung
hier mit einer zweiseitigen Neigung in Gebäudelängsrichtung, sichtbar an den unterschiedlichen
Höhen der seitlichen Steildachaufkantungen. Bildquelle: Wikipedia, Fotograf: Nathan Hughes
Hamilton, Lizenz: cc-by-2.0
- Oben rechts: Radebeul, Volksschulgebäude Oberkötzschenbroda mit
Plateaudach / Plattformdach, Bauzeichnung von 1901, Baumeister
Alfred Große. Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei
- Mitte: Magdeburg, Ambrosiusplatz 5, Villa von 1889,
Ansicht und Schnitt, Architekt: Hugo Bahn. Bildquelle: Günther Korbel: Die napoleonischen
Gründungen Magdeburgs. Stadtplanungsamt Magdeburg 1995, Nr.18/3, Seite 46 (www.magdeburg.de
> Publikationen des Stadtplanungsamtes). Obwohl das Dach dort als "Mansarddach mit
Schieferdeckung" bezeichnet wird, handelt es sich bei der Deckfläche konstruktiv nicht
um ein Mansart-Oberdach sondern um eine zur besseren Wasserableitung aufgeständerte Plateaufläche,
die durch das niedrige Ziergitter als Dachbekrönung verdeckt wird ‒ und damit insgesamt um ein
Plateaudach. Rein formal ist der Übergang zum Mansartdach allerdings fließend.
- Unten: Schnittzeichnungen zu einer Villa, entnommen aus: Adolf Opderbecke: Der
Zimmermann. Umfassend die Verbindungen der Hölzer untereinander, die Fachwerkwände, Balkenlagen,
Dächer einschließlich der Schiftungen und die Baugerüste. Für den Schulgebrauch und die Baupraxis.
Mit 732 Textabbildungen und 25 Tafeln. Zweite vermehrte Auflage. Verlag von Bernhard Friedrich
Voigt, Leipzig 1902; Seite 197. Wie man sieht, war die Plateaufläche nicht als begehbare
Dachterrasse geplant (ein Treppenzugang fehlt), obwohl man von außen das hohe Ziergitter
für ein Terrassen-Ziergeländer halten könnte.
Einen Bericht mit guten Fotos zur Neuanfertigung einer Dachbekrönung für eine Gründerzeitvilla
von 1892 in Berlin-Zehlendorf gibt es in der Fachzeitschrift "Restaurator im Handwerk",
Heft 2/2023, Seiten 30-31: Schmiedemeister Torsten Theel: Neuanfertigung einer Dachkrönung.
Es handelt sich dabei um ein aus Eisen geschmiedetes, knapp brüstungshohes Ziergitter nach historischer
Vorlage (Foto), ausgeführt durch die Hofschmiede Dahlem und montiert auf der Dachkante eines Plateaudachs,
Steildachflächen mit Schieferdeckung. Das Gitter wird im Beitrag als "Dachkrönung" bezeichnet,
üblich ist aber die Bezeichnung "Dachbekrönung".
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- Oben: Schwerin, Neustädtisches Palais, Ursprungsbau 1779, Umbau mit
Plateaudach 1878, rechts im Zustand 1953; Bildquelle: Bundesarchiv,
Bild 183-22297-0010, Fotograf: Krüger, Lizenz: CC-BY-SA 3.0. Links im Zustand nach
Generalsanierung 2008, dabei wurden die Plateaukanten unpassend verändert; Bildquelle:
Wikipedia, Fotograf: Niteshift, Lizenz: CC-BY-3.0
- Mitte links: Dresden, Goethestraße 13, Villa von 1870,
Totalzerstörung 1945, Architekt: August Pieper; Plateaudach mit Ziergeländer
als Dachbekrönung und Dachterrasse, die Attika-Brüstung über dem Kranzgesims
verdeckt teilweise die Steildachflächen. Bildquelle: Die Bauten von Dresden. Herausgegeben
von dem Sächsischen Ingenieur- und Architekten-Verein und dem Dresdener Architekten-Verein.
Dresden, Meinhold & Söhne, 1878, Seite 396
- Mitte rechts: Dresden-Strehlen, Wiener Straße 73, Villa von 1908,
flach geneigtes Plateaudach / Terrassendach mit größerem Dachüberstand,
nach 1945 umgebaut zum Mehrfamilienhaus, heute Wohn- und Geschäftshaus unter Denkmalschutz; eine Villa
aus der Zeit der Reformarchitektur ("Nach-Historismus"). Bildquelle: Wikipedia, Fotograf:
Brücke-Osteuropa, Lizenz: CC0 1.0. Das Dach wurde 1945 durch Brandbombe beschädigt, aber nicht zerstört
und bald repariert, Plateau als Flachdach mit Dachpappe ohne Geländer. Nach 1995 Sanierung, die mittlere
Dachgaube über der Loggia hinzugefügt, Dachplateau zur Terrasse mit hohem Geländer umgebaut (unklar bleibt,
ob dies dem ursprünglichen Zustand entspricht), neue penetrant-weiße Fassadenfarbe für Putzflächen,
ursprünglich ausgeriebener naturbelassener Putz ohne Farbbehandlung. Auf einem Postkartenfoto aus
der Zeit um 1935 ist kein Dachterrassengeländer zu sehen.
- Unten: Bad Elster, Badstraße 25, Königliches Kurhaus von 1890,
Architekt: Karl Otto Trobsch; Plateaudach mit kunstvoll und filigran geschmiedetem
Ziergitter als Dachbekrönung (kein Geländer, weil keine Terrassennutzung), Schmiedeeisen in
perfekter Erhaltung bzw. restauriert 1998, Schieferdachdeckung mit Schuppen-Schablonen und
Gebindesteigung (Hauptdach) bzw. ohne Gebindesteigung (Dachtürmchen über den Eckrisaliten);
Fotos: Doris Rauscher
Das Berliner Dach, in diversen Varianten
mit oder ohne Drempel und Dachgauben, ist eine Mischkonstruktion aus einem halben
Mansartdach oder Satteldach mit Ziegeldeckung jeweils mit rückseitig angeschlossenem Pultdach,
dieses mit "Asphaltpappe" oder "Holzcement" auf gespundeter Schalung gedeckt
und zur Hofseite hin abgeschlossen durch Dachschrägen mit Ziegeldeckung oder durch senkrechte
Halbgeschoss-Außenwände. In der zeitgenössischen Baufachliteratur wurden diese Dachkonstruktionen
in der Kategorie "Abweichende und unsymmetrische / ungleichschenkelige Formen"
geführt. Asphaltpappe war mit Steinkohlenteer und Asphalt getränkte Pappe. Holzcement / Holzzement
war ein mehrlagig / mehrschichtig im Wechsel mit Pappe und Feinsand vor Ort heiß aufgebrachtes Gemisch
aus Teer, Asphalt und Schwefel, die Schichten miteinander verklebt, die abschließende Decklage mit Sand
und Kies bestreut. Zusammen mit der Schalung nannte man diese Dachdeckung "Holzcementdach",
einsatzfähig nur für sehr flache Neigungen bis höchstens etwa 3 Grad (etwa 5 %, etwa 1:15 bis 1:25), bei
stärkerer Neigung konnte die Mischung im Sommer abfließen. Die Deckung wurde baupolizeilich als
"feuersicher" eingestuft. Teilweise wurden Holzzementdächer zum Schutz mit dicken Kiesschichten
und / oder Rasensoden belegt, sie gelten deshalb als Vorläufer der heutigen Flachdachbegrünungen. Die
"Deutsche Bauzeitung" (Jahrgang III, Nr.26, Juni 1869) enthält auf Seite 309 im Beitrag
"Die Häusler'sche Holz-Zement-Bedachung" eine detaillierte Beschreibung für die Fachwelt
mit allen Vor- und Nachteilen.
Das Berliner Dach kam immer dann zur Anwendung, wenn große Gebäudetiefen realisiert werden sollten und
gleichzeitig Vorschriften zur Traufhöhe ("obere Kante der Frontwand") und Dachgestaltung zu
beachten waren. Auch ohne behördliche Vorgaben musste ein straßenseitiges Dach bei einer innerstädtischen
und mehr als dreigeschossigen Bebauung mit deutlich mehr als 45° Dachneigung ausgeführt werden, um im
öffentlichen Raum überhaupt noch sichtbar und damit städtebaulich und baugestalterisch wirksam zu sein.
Eine solche Dachneigung konnte bei den gewünschten und gemäß Baupolizeiordnung auch zulässigen Gebäudetiefen
gar nicht mehr als normales symmetrisches Sattel- oder Walmdach ausgeführt werden, weil dabei unsinnige,
dachräumlich nicht erforderliche und wirtschaftlich nicht vertretbare Firsthöhen entstanden wären. Es
blieben also nur die kultivierten Varianten als symmetrisches Mansartdach oder Plateaudach oder die
billigste Variante als Berliner Dach.
Nachfolgend verschiedene Darstellungen aus älteren und jüngeren Publikationen, alles
Dachkonstruktionen aus dem Zeitraum etwa 1860-1900. Zuerst
vier symmetrische Plateaudächer, das zweite Bild mit niedriger Plateau-Balustrade, das vierte
Bild als zweistöckig nutzbare Variante (häufig in Paris zu finden, in Berlin war dies
gemäß Baupolizeiordnung von 1887 zumindest für Aufenthaltsräume verboten). Wie man sieht,
ist rein formal der Übergang zwischen Plateaudach und Mansartdach fließend. Danach unsymmetrische
Konstruktionen, zuletzt die sogenannten Berliner Dächer in verschiedenen Varianten. Alle Bilder
bearbeitet und teilweise umgezeichnet von Norbert Rauscher, Angaben zu den Bildquellen siehe unten:
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Bildquellen für die vorstehenden Abbildungen:
Bildreihe 1: Max Hittenkofer: Neuere Dach-Binder. Nach
Spannweiten und Unterstützungen im Metermaß systematisch
zusammengestellt zum Gebrauche für Architekten, Baugewerkmeister und
Schüler der Bautechnik. Verlag Carl Scholtze, Leipzig 1873 (Reprint
Verlag Th. Schäfer, Hannover 1995); Tafeln 42 und 44
Bildreihen 2-3: Franz Stade: Die Holzkonstruktionen.
Lehrbuch zum Selbstunterrichte. Mit 918 Abbildungen und 16 Tafeln.
Verlag von Moritz Schäfer, Leipzig 1904; Seiten 199 und 200
Bildreihen 4-5: Adolf Opderbecke: Der Zimmermann.
Umfassend die Verbindungen der Hölzer untereinander, die Fachwerkwände,
Balkenlagen, Dächer einschließlich der Schiftungen und die Baugerüste.
Für den Schulgebrauch und die Baupraxis. Mit 732 Textabbildungen und 25
Tafeln. Zweite vermehrte Auflage. Verlag von Bernhard Friedrich Voigt,
Leipzig 1902; Seiten 157-160
Bildreihe 6: Otto Frick und Karl Knöll: Die Konstruktion
von Hochbauten. Ein Handbuch für den Baufachmann. Zwei Teile in einem
Bande mit 584 Abbildungen im Text. Fünfte neubearbeitete Auflage.
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 1927; Seite 92. Auch in der
Zwischenkriegszeit waren somit diese unsymmetrischen Dachformen noch
aktuell, "falls für eingebaute Häuser symmetrische Satteldächer
wegen zu großer Gebäudetiefe nicht möglich sind ...".
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Bildquellen für die vorstehenden Abbildungen:
Bildreihe 1: Gustav Blohm: Das Zimmerhandwerk. Ein
praktisches Hand-, Lehr- und Nachschlagewerk zur Anfertigung und
Kalkulation aller Zimmererarbeiten. Verlag J. J. Arnd, Leipzig 1912;
Seiten 271 und 272
Bildreihe 2: Wie das Berliner Dach auch weit entfernt
von seinem Ursprungsort eingedrungen ist in traditionelle Dachlandschaften
zeigt das Bild aus Adorf im Vogtland, Markt 9a, ein dreigeschossiger Bau von
1890 aus der Zeit des Historismus, nach heutigem Baurecht viergeschossig,
ursprünglich ein Hotel; aus städtebaulicher Sicht ein Störfaktor (Verstoß
gegen das Einfügungsgebot), aus architekturgeschichtlicher Sicht jedoch
interessant im Vergleich mit den benachbarten Dachformen; heute unter
Denkmalschutz; Foto: Doris Rauscher (das Bild ist manipuliert, die nach
1990 eingebauten Dachflächenfenster wurden entfernt).
Bildreihe 3: Links Umzeichnung einer Darstellung von
Axel Schulze: Die Dächer von Berlin. Schonender Holzschutz für
Konstruktionen aus der Gründerzeit. Zeitschrift "Der Bauschaden",
Forum-Verlag, Heft Oktober/November 2014; Seite 11 (Ingenieurbüro für
Bauforschung und Denkmalpflege Axel Schulze, Panketal / Berlin / Calau,
siehe www.bauforschung-schulze.de). Rechts Kopie der Schnittzeichnung wohl
zu einem Bauantrag von 1911 (?) für ein Mehrfamilienhaus in Berlin, Quelle
unbekannt, vielfach zu finden im Internet, unter anderem bei Wikipedia
(dort aber schon als Bildausschnitt)
Bildreihe 4: Berliner Dachkonstruktionen / Berliner Dächer
in verschiedenen Varianten, mit und ohne Drempel, Straßenseite jeweils links.
Umzeichnungen nach Vorlagen bei Volkmar Schnöke: Dachraumausbau ‒
Schnökes Dachböden, Stadthaus Verlag Berlin 1986; Seite 86
Zum Thema Holzzementdach mit Stand 1912 siehe z.B. Ernst
Gerhardt: Baustoffkunde. Ein Handbuch für Studium und Praxis. Mit 193
Abbildungen. Verlag von Otto Spamer, Leipzig 1912; Seiten 189-190. Als PDF zu
finden bei der TU Krakau unter https://repozytorium.biblos.pk.edu.pl
(Dieser Text zu den Dachformen und die bearbeiteten Abbildungen wurden
hier erstmalig veröffentlicht am 18.12.2021, letzte Ergänzungen am 28.2.2024)
Berliner Traufhöhe und das Berliner
Baupolizeirecht: Die Entstehung und Entwicklung der Dachformen
in Berlin ist zumindest teilweise auch verbunden mit der Entwicklung des Berliner
Baupolizeirechts bzw. Bauordnungsrechts (siehe unten, Rechtsgrundlagen). Das Berliner
Dach ist teilweise formal (nicht konstruktiv) ein Ergebnis der Bauvorschriften, die
von Investoren im Mietwohnungsbau (Terraingesellschaften / Banken, Bauunternehmer,
Bauherren / Hausbesitzer / Grundbesitzer) möglichst maximal ausgeschöpft wurden, besonders
in den sogenannten "Gründerjahren" mit zeitweise heftiger Wohnungsnot. Das
historische Baupolizeirecht war immer zuerst Brandschutzrecht, auch die Festsetzung
einer maximalen Traufhöhe ist nicht aus städtebaulich-gestalterischen Gründen entstanden
sondern unmittelbar zur Gefahrenabwehr für den Brandfall.
Zu Beginn der Gründerzeit galt in Berlin die Baupolizeiordnung von 1853, die zusammen
mit dem Hobrecht-Plan von 1862 den Rahmen für die Mietskasernenbebauung mit ihren engen
Hinterhöfen vorgab. Die Maximalhöhe der Bebauung richtete sich nach der Breite der Straße:
Stürzt bei einem Brand die Vorderfassade um, so ist gewährleistet, dass die
gegenüberliegenden Häuser nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese Gefahr bestand
real, denn auch in Berlin existierten zu dieser Zeit noch Fachwerkbauten, bei denen nur
die Straßenfassade (nachträglich) massiv ausgeführt war. Ein Hausbrand zerstörte zuerst
den Fachwerkteil, die massive Fassade stand dann unverankert, sie konnte umkippen wie
ein Brett. Bis 1853 unterstanden Städtebau und Bauwesen in Berlin der Bauordnung
von 1641, die ergänzt wurde durch eine Verordnung von 1763 sowie durch die sich
anschließenden "Spezial-Bau-Observanzen für Berlin" (baubezogenes und
nachbarliches Gewohnheitsrecht; siehe Carl Doehl, Seite 449).
1853 trat die Baupolizeiordnung
für Berlin in Kraft ("Bau-Polizei-Ordnung für Berlin und dessen Bau-Polizei-Bezirk").
Sofern alle Vorschriften erfüllt waren (bautechnischer Brandschutz, Qualität der Wohnräume,
Nachbarrecht) durfte ein Grundstück vollständig bebaut werden unter der Bedingung, dass ein
Hof freigehalten wurde in dem eine Feuerwehrspritze wenden konnte. Der Wendekreis eines
Spritzenwagens der Feuerwehr betrug etwa 5,30 x 5,30 Meter.
- § 27: "In jedem Grundstück muß bei der Bebauung ein freier Hofraum
von mindestens 17 Fuß Länge und Breite verbleiben; Ausnahmen sind nur bei älteren, schon
früher bebaut gewesenen Eckgrundstücken gestattet." (17 Fuß = 5,34 m)
- § 28: "Ältere Gebäude dürfen in ihrer früheren Höhe wieder aufgebaut,
neue Gebäude überall bis auf 36 Fuß Höhe errichtet werden. Bei einer Straßenbreite von 36-48
Fuß ist eine Höhe der Gebäude von 1¼ der Straßenbreite zulässig. Bei noch breiteren
Straßen unterliegt die Höhe der Bauten keiner allgemeinen Beschränkung. Die Höhe des Gebäudes
wird von dem Straßenpflaster bis zur oberen Kante der Frontwand gemessen." (36 Fuß =
11,30 m x 1,25 = 14,13 m; 48 Fuß = 15,07 m x 1,25 = 60 Fuß = 18,84 m)
- § 39: "Die Dachdeckungen müssen mit feuersicherem Material
ausgeführt werden."
- § 88: "Alle zum täglichen Aufenthalt von Menschen bestimmten
Wohnräume müssen in neuen Gebäuden wenigstens 8 Fuß, und wenn solche in vorhandenen
Gebäuden neu angelegt werden, wenigstens 7 ½ Fuß lichte Höhe erhalten. Alle Wohn-
und Schlafräume mit weniger als 9 Fuß lichter Höhe müssen zur Herstellung eines gehörigen
Luftwechsels mit passenden Einrichtungen und mindestens mit Fenstern zum Oeffnen in
hinreichender Zahl und Größe und mit von innen zu heizenden Oefen versehen sein."
(9 Fuß = 2,83 m, 8 Fuß = 2,51 m, 7 ½ Fuß = 2,36 m)
Nach dieser Baupolizeiordnung konnten bereits bei einer Straßenbreite von 18,84 m Wohngebäude
mit einer Traufhöhe von 23,55 m errichtet werden und damit sieben oberirdische Normalgeschosse
bei lichten Raumhöhen von 9 Fuß = 2,83 m (entsprechend Geschosshöhen von etwa 3,20 m). Ausgebaute
Dachräume wurden bei der Zählung der Geschosse / Stockwerke nicht mitgezählt, zur Gestaltung von
Dächern und Nutzung von Dachräumen gab es keine Vorgaben. Wohnungen im Dachraum mussten lediglich
über eine feuersichere Treppe erreichbar sein.
1860 erhielt der § 28
der Baupolizeiordnung eine neue Fassung, da seine Regelungen wohl zu unerwünschten
Ergebnissen bei den Gebäudehöhen geführt hatten. Die Gebäudehöhen wurden jetzt generell
an die Straßenbreiten gekoppelt: "Neue Gebäude an der Straße dürfen in der Regel
von dem Straßenpflaster bis zur oberen Kante des Dachgesimses der Frontwand gemessen
die Höhe von 36 Fuß nicht übersteigen. Bei Gebäuden, welche an der Stelle alter neu
aufgeführt werden, kann überall die Höhe der alten Gebäude beibehalten werden. In
Straßen, welche breiter als 36 Fuß sind, können neu aufgeführte Gebäude eine der
Breite der Straße gleiche Höhe erreichen. ..." Es folgten spezielle Regelungen
zum Brandschutz für Gebäude mit mehr als 60 Fuß Höhe bei besonderem öffentlichen
Interesse, usw. Erst im Zusammenwirken mit dem Fluchtliniengesetz von 1875 und der
dort festgesetzten Straßenbreite von 22 m für neue Straßen entstanden dann zunehmend
mit dem Straßenbau auch die berühmten Berliner Traufhöhen von 22 m.
1862 trat der Hobrecht-Plan in
Kraft ("Bebauungsplan der Umgebungen Berlins", Berliner Regierungsbaumeister James
Hobrecht, 1825-1902), ein Bebauungsplan im Auftrag des preußischen Innenministeriums zur Steuerung
der mit der Industrialisierung einhergehenden rasanten Bevölkerungszunahme im Berliner Stadtgebiet.
Durch die Einrichtung von Baufluchtlinien sollten der städtebauliche Engstand verringert,
die Sicherheit der Berliner Bevölkerung erhöht und die hygienischen Verhältnisse verbessert
werden, allerdings nur für neu entstehende Baugebiete. Im Gegensatz zu Paris wurde die alte
Berliner Kernstadt nicht angetastet.
1865 erhielt der § 28 der
Baupolizeiordnung schon wieder eine neue Fassung. Hintergrund waren jetzt offenbar Auswüchse
bei der Dachgestaltung zur maximalen Nutzung des Dachraums für Aufenthaltsräume und damit zur
Erzielung von Mieteinnahmen oberhalb der zulässigen Traufhöhe. Die in 6 Paragraphen unterteilte
"Polizei-Verordnung. Betrifft die Bauhöhe und die Construction der Mansarden-Dächer in
Berlin." trat an die Stelle des alten § 28 der Bau-Polizei-Ordnung von 1853 bzw. 1860
wie folgt:
- § 1: An Stelle vorhandener Gebäude dürfen neue in der Höhe der bisherigen
wieder aufgebaut, neue Gebäude überall bis auf 36 Fuß Front-Höhe errichtet werden.
- § 2: Bei einer Straßenbreite von mehr als 36 Fuß darf die Front-Höhe der
Vordergebäude die Breite der vorliegenden Straße nicht überschreiten. ..."
- § 4: Die über der zulässigen Front-Höhe liegenden Dächer dürfen an keiner
Stelle über diejenige Linie vorstehen, welche durch die äußere Fläche der Frontwand in der
höchsten zulässigen Front-Höhe gezogen, einen Winkel von 60 Grad gegen den Horizont bildet.
Giebelfelder, durchbrochene Balustraden, Dach- und Mansarden-Fenster, oder ähnliche Aufbauten,
wenn sie an irgend einer Stelle über die bezeichnete, für die Neigung der Dachfläche
vorgeschriebene Linie hervorragen sollen, bedürfen der besonderen ausdrücklichen Genehmigung
des Polizei-Präsidiums, welche nur dann ertheilt werden kann, wenn die vorspringenden Theile
nicht massenhaft und im Ganzen nur von so geringer Bedeutung sind, daß der Zweck, genügenden
Zutritt von Luft und Licht zu den Straßen zu verschaffen, nicht vereitelt wird."
1875 wurde basierend auf dem Hobrecht-Plan mit
dem Preußischen Fluchtliniengesetz eine Straßenbreite von
22 Metern festgelegt. Dies hatte zur Folge, dass in Verbindung mit der
Baupolizeiordnung zunehmend bei Neubauten und Umbauten die Höhe der Häuser an diese
Straßenbreite angepasst wurde (sofern es sich um einen Straßenneubau in dieser Breite
handelte). Damit war gesichert, dass im Brandfall umstürzende Gebäudefassaden die
gegenüberliegenden Häuser nicht länger beschädigten. Die Berliner Traufhöhe steht damit im
direkten Zusammenhang mit der Breite der Berliner Straßen, die Höhenfestsetzung war bis
1887 eine indirekte Festsetzung (besser: Höhenbeschränkung). Eine absolute Höhenbeschränkung
war noch immer nicht gegeben, z.B. an überbreiten Straßen / Boulevards oder an Plätzen.
Unter den Linden hat z.B. 60 m Breite, der Kurfürstendamm wurde 1875 auf persönlichen Wunsch
Bismarcks durch Kabinettsorder mit 53 m Breite geplant (Hegemann, Seite 247) und ab 1882 auch gebaut.
1887 wurde durch die für Berlin zuständige
Brandenburgische Provinzialregierung eine Baupolizeiordnung erlassen
("Bau-Polizei-Ordnung für den Stadtkreis Berlin", Vorläufer der heutigen Bauordnung).
Hier wurde die Traufhöhe nunmehr direkt auf 22 Meter festgelegt und galt
fortan sowohl für die Errichtung von Vorder- als auch Hinterhäusern. Zudem wurde eine Mindesthoffläche
von 60 m² bei einer Mindestseitenlänge von 6 m ("Berliner Höfe") festgeschrieben um
das problemlose Wenden von Feuerwehrspritzen zu ermöglichen. Die Mindestmaße für Hofdurchfahrten
wurden passend zu den Feuerwehrgerätschaften festgesetzt auf eine lichte Breite von 2,30 m und
einer Durchfahrtshöhe von 2,80 m.
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- § 3. Höhe: "Gebäude dürfen in den Frontwänden stets 12 m hoch und
nicht höher als 22 m errichtet werden. ... Gebäude an Straßen dürfen so hoch sein, als die
Straße zwischen den Straßenfluchtlinien breit ist. ...". Die Höhe wurde von Oberkante
Bürgersteig bzw. Hofpflaster bis Oberkante Hauptgesims bzw. Attika gemessen. "Oberhalb
der zulässigen Fronthöhe dürfen die Dächer über eine in einem Winkel von 45 Grad zu der Front
gedachte Luftlinie nicht hinausgehen. ...". Diese Luftlinie hat gelegentlich zu kuriosen
Dachknicken geführt, die nichts mit Mansartdach zu tun haben, siehe nebenstehendes Bild: Es
könnte sein, dass hier die Oberkante der Hoffassade auf 22 m Höhe lag, was in Verbindung
mit dem 45-Grad-Winkel auf der Straßenseite den Dachknick erzwungen hat.
- § 37. Zum Aufenthalte von Menschen bestimmte Räume: "In einem Gebäude
dürfen niemals mehr als fünf zu dauerndem Aufenthalte von Menschen bestimmte Geschosse
angelegt werden; auch darf der Fußboden des obersten Geschosses dieser Art nie mehr als
17,50 m über dem Bürgersteige liegen. ... Ferner müssen Räume, die zu dauerndem Aufenthalte
von Menschen bestimmt sind, eine ... Höhe von mindestens 2,50 m haben ... Dachräume dürfen
zu dauerndem Aufenthalte für Menschen nur dienen, wenn sie ... unmittelbar über dem obersten
Stockwerke belegen, auch von den angrenzenden Theilen des Dachbodens durch massive Wände
geschieden sind." Im Gesetzestext wird unpräzise teils von Geschoss, teils von
Stockwerk gesprochen. In beiden Fällen war immer das Normalgeschoss (Regelgeschoss) gemeint,
die Etage, nicht der Dachraum. Zulässig waren fünf Normalgeschosse. Unklar blieb, ob durch
eine einzelne Wohnung im Dachraum dieser bereits zu einem "Geschoss für den dauernden
Aufenthalt von Menschen" wurde und der gesamte Dachraum dann bei der Geschosszählung
mitgerechnet werden musste; diese Frage wurde erst in der nächsten Baupolizeiordnung
geklärt. Der zweistöckige / zweigeschossige Ausbau des Dachraums war in Berlin jedenfalls
wirtschaftlich nicht interessant, eine zweite Ebene im Dachraum durfte als Wohnraum nicht
genutzt und vermietet werden, ein wesentlicher Grund für die Anwendung des billigen Pultdachs.
1897 erschien wieder eine neue
Baupolizeiordnung ("Bau-Polizei-Ordnung für den Stadtkreis Berlin"),
mit vielen Präzisierungen und neuen Details, aber nur wenigen grundlegenden Änderungen, darunter
die Bebauungsdichte auf den Grundstücken, Hofgrößen, Lichthöfe, Hintergebäude, Brandschutz. Im
hier auf der Website besprochenen Zusammenhang sind interessant:
- § 3. Höhe: Die Höhe der Gebäude (Fronthöhe) wird gemessen zwischen
Oberfläche Bürgersteig und Oberkante Hauptgesims bzw. Attika. 1. "Gebäude dürfen in den
Frontwänden stets 12 m hoch, aber nicht höher als 22 m errichtet werden. Innerhalb dieser
Grenzen gelten folgende Bestimmungen: Alle Baulichkeiten an Straßen dürfen so hoch sein,
wie die Straße oder der Straßenteil vor ihnen zwischen den Straßenfluchtlinien breit ist.
...". 2. "Oberhalb der zulässigen Fronthöhe dürfen die Dächer über eine im Winkel von
45° zu der Front gedachte Luftlinie nicht hinausgehen. ...". 3. "Der Dachneigungswinkel
zur Straßenfront darf bis auf 60° vergrößert werden, wenn die Fronthöhe um die Hälfte des in der
Firstlinie gemessenen Höhenunterschiedes zwischen den beiden Luftlinie im Winkel von 45° und 60°
vermindert und der First um dasselbe Maß niedriger gelegt wird." Höchst kompliziert, auch
dies könnte der Hintergrund für die oben skizzierte sonderbare Dachkonstruktion sein. Türme,
Giebel und weitere Dachaufbauten waren zulässig, für die Anrechnung ihrer Höhen gab es
Extravorschriften.
- § 12. Dachdeckung: 1. "Die Dächer aller Baulichkeiten müssen mit
einem gegen die Uebertragung von Feuer hinreichenden Schutz bietenden Stoffe (Stein, Metall,
Teerpappe, Holzzement, Glas, usw.) gedeckt werden."
- § 16. Treppen: 2. "... Als oberstes Geschoß ist das Dachgeschoß nicht
anzusehen, wenn es keine zum dauernden Aufenthalte von Menschen bestimmten Räume enthält."
- § 37. Zum dauernden Aufenthalte von Menschen bestimmte Räume: 1. "In einem Gebäude
dürfen niemals mehr als fünf zum dauernden Aufenthalte von Menschen bestimmte Geschosse übereinander
angelegt werden; auch darf der Fußboden des obersten Geschosses dieser Art nie mehr als 18 m über
der Oberfläche des Bürgersteiges oder des Hofes liegen." 3. "Sie müssen ferner eine ...
lichte Höhe von mindestens 2,80 m haben und nirgends tiefer als 0,50 m unter der Oberfläche des
Bürgersteiges oder des Hofes liegen. ...". 6. "Dachräume dürfen zum dauernden Aufenthalte
von Menschen nur dienen, wenn sie den Bestimmungen der Ziffern 1, 2 und 3 entsprechen, unmittelbar
über dem obersten Stockwerke liegen, und wenn sie und ihre Zugänge von den übrigen Bodenräumen
durch feuersichere Wände abgeschlossen werden."
Bei allen Baupolizeiordnungen lag der Schwerpunkt der Rechtsvorschriften in der Gefahrenabwehr:
Vorbeugender bautechnischer Brandschutz, Brandbekämpfung und Rettung der Bewohner im Brandfall,
Feuersicherheit und Längenbegrenzung von Fluchtwegen, erst später kamen Regelungen zur Absicherung
gesunder Lebensverhältnisse sowie zur Verhinderung von architektonischen Auswüchsen aus Gewinnsucht hinzu.
Unabhängige zweite Rettungswege mussten fast immer durch die Leitern der Feuerwehr gewährleistet werden,
welche damals eine Maximallänge von ca. 19 m erreichten. Auch die heutigen modernen Drehleitern kommen
im Normalfall nicht über eine Länge von 23 m hinaus (Nennrettungshöhe), daher gilt diese Höhenfestsetzung
indirekt bis heute als Hochhausgrenze: Fußbodenoberkante der höchstgelegenen Aufenthaltsräume = 22 m
gemäß § 2 Abs.4 Nr.1 BauO Bln 2005 ‒ die Fußbodenhöhen damit 4,00 m höher als 1897. In Brandenburg
gilt das Gleiche gemäß § 2 Abs.4 Nr.1 BbgBO 2018.
Rechtsgrundlagen und weiterführende Literatur:
► Bau-Polizei-Ordnung für Berlin und
dessen Bau-Polizei-Bezirk (1853). Amtlicher Abdruck. Druck und in Commission
bei A. W. Hayn, Berlin 1853 (digitalisiert als PDF im Web zu finden)
► Bau-Polizei-Ordnung für den Stadtkreis
Berlin (1887). Amtliche Ausgabe. Druck u. Verlag von A. W. Hayn's Erben,
Berlin 1887 (digitalisiert als PDF im Web zu finden)
► Bau-Polizei-Ordnung für den Stadtkreis Berlin
(1897) nebst den dieselbe ergänzenden neueren Polizeiverordnungen. Siebente Auflage.
Berlin W., Verlag von Georg Siemens, 1908 (digitalisiert von Google)
► Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam
und der Stadt Berlin. Jahrgang 1865. Zu haben bei dem Königlichen Postamte ...,
Potsdam 1865. Seiten 319-320: "Polizei-Verordnung. Betrifft die Bauhöhe und die Construction
der Mansarden-Dächer in Berlin."
► Preußische Einheitsbauordnung 1919: Erlaß,
betreffend den Entwurf zu einer Bauordnung. Berlin, 25. April 1919. Zentralblatt der Bauverwaltung
Nr. 42 vom 21. Mai 1919, Amtliche Mitteilungen, Seiten 225-236; Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin
► Ludwig von Rönne: Die Bau-Polizei des Preußischen Staates;
eine systematisch geordnete Sammlung aller auf dieselbe Bezug habenden gesetzlichen Bestimmungen, ... Zweite
verbesserte und vermehrte Ausgabe. Breslau, bei Georg Philipp Aderholz, 1854. (Digitalisiert unter
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de)
► F. C. A. Grein: Baurecht nach den Vorschriften des Allgemeinen
Landrechts mit Hinweisung auf die nach der Berliner Bau-Ordnung vom 30. November 1641 und den
Spezial-Bau-Observanzen in Berlin vorkommenden Abweichungen. Verlag der Nauckschen Buchhandlung, Berlin 1863
(im Anhang der vollständige Text der "Bau-Ordnung für die Stadt Berlin" von 1641)
► Carl Doehl: Repetorium des Bau-Rechts und der
Bau-Polizei für den Preußischen Staat sowohl im Allgemeinen, als im Besonderen für die
Haupt- und Residenz-Stadt Berlin. Verlag von Theodor Thiele, Berlin 1867
► Constanz Baltz: Preußisches Baupolizeirecht. Mit
einem Abschnitt enthaltend das Baupolizeirecht der Stadtgemeinde Berlin für den praktischen Gebrauch
dargestellt. Neu herausgegeben von F. W. Fischer. Carl Heymanns Verlag, Berlin 1926
► Werner Hegemann: Das steinerne Berlin.
Geschichte der größten Mietkasernenstadt der Welt. Verlag von Gustav Kiepenheuer, Berlin 1930.
Neuauflage: Bauwelt Fundamente 3, Verlag Vieweg & Sohn, ab 1976 (der Haustyp dort
bezeichnet als "Mietskaserne" ‒ mit "s"); vierte
Auflage 1988, besonders Kapitel XXIII, ab Seite 207
► Johann Friedrich Geist / Klaus Kürvers: Das
Berliner Mietshaus 1740-1989. 3 Bände, Prestel-Verlag München 1980-1989
Band 1: 1740-1862 (1980), Band 2: 1862-1945 (1984), Band 3: 1945-1989 (1989)
► Christoph Bernhardt: Bauplatz Groß-Berlin.
Wohnungsmärkte, Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum der Hochindustriealisierung
(1871-1918). Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin / New York 1998. Interessant ist unter
anderem das fünfte Kapitel, ab Seite 145: Die Groß-Berliner Immobilienkrise von 1912 und das
relative Überangebot auf den Wohnungsmärkten.
(Dieser Text zur Berliner Traufhöhe und zum Berliner Baupolizeirecht wurde hier
erstmalig veröffentlicht am 20.12.2021, letzte Ergänzungen am 8.1.2022)
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